Forschung und Fakten

Geschichte

Schon seit einigen hundert Jahren gibt es Versuche, Bilder und grafische Symbole zur Kommunikation zu nutzen, immer mit dem Ziel, Menschen ohne Lautsprache aus ihrer Isolation zu befreien. Inzwischen hat diese Form der Kommunikation einen Namen – UK (Unterstützte Kommunikation). Heute existieren viele verschiedene Formen von Unterstützter Kommunikation, z. B. Piktogramme, PCS-, Rebus-, Bliss-Symbole und Gebärden. Für Menschen, die eine Kommunikationshilfe brauchen und keine gravierenden motorischen Einschränkungen der Hände haben, sind Gebärden in vielen Ländern die gängigste UK-Variante.

 

Schon immer hat es Menschen gegeben, denen ganz oder weitgehend die Fähigkeit fehlte, Lautsprache zu produzieren, entsprechende Kommunikationshilfen sind jedoch kaum dokumentiert. Die historischen Wurzeln heutiger Forschung und Praxis auf dem Gebiet der Unterstützten Kommunikation liegen im Europa des 18. Und 19. Jahrhunderts. Damals gab es verschiedene Bestrebungen, Alternativen zur Lautsprache zu finden, um Menschen mit schweren Kommunikationsstörungen das Leben zu erleichtern und ihre Isolation zu durchbrechen. Der frühe Einsatz grafischer Symbole als Alternative oder Ergänzung zur gesprochenen Sprache ist in Autobiografien behinderter Personen belegt, aber die systematische Nutzung von Kommunikationshilfen durch andere als Gehörlose erfolgte erst gegen Ende 1960. Bei der Einführung von Gebärden für Hörende, parallel mit dem Durchbruch der Gebärdensprache in den 70er Jahren, richtete man sich vor allem an Menschen mit geistigen Behinderungen. Gebärden werden in den verschiedenen europäischen Ländern in sehr unterschiedlichem Maße genutzt. Sicher hat eine positive Einstellung zur Gebärdensprache maßgeblich zur Einführung von Gebärden für Hörende beigetragen. Vor allem in Nordamerika, Skandinavien und Großbritannien macht sich diese positive Haltung bemerkbar, und dementsprechend werden Gebärden in diesen Ländern auch häufiger eingesetzt als grafische UK-Systeme.

 

Entnommen aus dem Buch Augmentative and alternative communication. European perspectives (1997) von Stephen von Tetzchner, Professor für Psychologie an der Universität Oslo/Norwegen, und Mogens Hygum Jensen, Lektor an der pädagogischen Hochschule in Esbjerg/Dänemark.

 

Forschung

Viele Eltern und Pädagogen können bezeugen, dass Gebärden die Kommunikations- und Sprachentwicklung von Kindern fördern.  Darüber hinaus haben sich eine Anzahl von Fachleuten auf dem Gebiet der Sprach- und Kommunikationsforschung wissenschaftlich mit dem Thema Gebärden beschäftigt. In diesem Kapitel stellen wir die bisherigen Forschungsergebnisse kurz vor.

Iréne Johansson hat 1987 gezeigt, dass sich Kleinkinder mit Down-Syndrom mithilfe von Gebärden viel früher ausdrücken können als lautsprachlich, wenn Ihnen lautsprachbegleitend Gebärden vermittelt werden. Auf diese Weise wird den Kindern Kommunikation und Sprachentwicklung ermöglicht, obwohl sie noch nicht sprechen können. Keines der Kinder blieb im Gebärdenstadium „hängen“, sondern die Gebärdenkommunikation erwies sich vielmehr als ein schnellerer Weg zur Sprache. Der lautsprachliche Wortschatz folgte der Entwicklungskurve für Gebärden mit einem Jahr Verzögerung.

Iréne Johansson konnte auch zeigen, dass Kinder, die Gebärden und Sprachtraining erhalten, über einen größeren Wortschatz verfügen als Kinder, die keine Hilfestellung durch die Anwendung von Gebärden vermittelt bekommen.

 

Iréne Johansson, emeritierte Professorin für Phonetik und Sonderpädagogik, Universität Umeå und Karlstad/Schweden. Gründerin des „Karlstadmodells“.

 

Kaisa Launonen hat ebenfalls im Rahmen einer Studie gezeigt, dass Gebärden bei Kindern mit Down-Syndrom zu einer verbesserten Sprachentwicklung führen und daß die gebärdenden Kinder über einen deutlich größeren lautsprachlichen Wortschatz verfügen. Launonens Studie verfolgt die Entwicklung der Kinder über mehrere Jahre und macht deutlich, daß die gebärdende Gruppe ihren Vorsprung in Bezug auf die (Laut)sprachentwicklung, einschließlich Lese- und Schreibfähigkeiten, auch später beibehält.

 

Kaisa Launonen, Professorin für Logopädie, Institut für Sprechwissenschaft, Universität Helsinki/Finnland

 

Text im Diagramm: tecken = Gebärden; tal = Lautsprache

Variation des aktiven Wortschatzes (Gebärden bzw. Lautsprache) bei 58 Kindern mit Down-Syndrom im Alter von 13-27 Monaten

 

Gebärden helfen Kindern, früher zu kommunizieren. Wenn sich die Lautsprache einstellt, dauert es nicht lange, bis sie die Gebärden ersetzt.

Text im Diagramm: ålder = Alter; tecken = Gebärden; tal = Lautsprache