Warum wir eine Sprache brauchen
Iréne Johansson, Professorin für Sonderpädagogik und Phonetik,erklärt warum Sprache und Teilhabe so wichtig sind. Sie beschäftigt sich unter anderem mit Fragen zum Recht aller Individuen auf Sprache.
Warum müssen Kinder eine Sprache entwickeln?
Wir brauchen eine Sprache, damit wir eine innere Vorstellungswelt aufbauen, Probleme lösen, uns erinnern und fantasieren können. Ohne Sprache sind wir gefangen im Hier und Jetzt – die Sprache befreit uns von Zeit und Raum. Um unsere innere Welt entfalten zu können, müssen wir Kontakt mit der Außenwelt aufnehmen, und dazu brauchen wir ein Werkzeug – unsere Sprache. Wer Sprache nicht versteht, kann sich nur schwer in seine Umwelt einbringen, und wer nicht sprechen kann, dem fällt es schwer, andere an seinem Innenleben teilhaben lassen.
Was bringen Gebärden mir und meinem Kind?
Egal, ob Ihr Kind mit kleinen oder großen Sprachschwierigkeiten kämpft, werden ihm Gebärden aller Voraussicht nach gute Dienste leisten. Gebärden sind ein Werkzeug für die Sprachentwicklung. Ihr Kind bekommt das Rüstzeug an die Hand, um mit seiner Umgebung kommunizieren zu können. Und die Umgebung sollte einen wesentlichen Aspekt nicht übersehen: Beansprucht man einen wichtigen Platz im Leben eines Kindes, darf man nicht erwarten, dass das Kind einem die Arbeit abnimmt, sondern man muss sich selbst engagieren. Kinder sind hier kompetent und treffen ihre Wahl. Wenn Sie nicht selbst aktiv werden und mit Gebärden am Leben Ihres Kindes teilnehmen, werden Sie ausgegrenzt, bleiben Sie eine Randfigur. Und das wollen Sie ja sicher nicht.
Was also sollten wir, das Umfeld des gebärdenden Kindes, tun?
Alle Bezugspersonen müssen dem Kind helfen, Erfahrungen zu machen. Erfahrungen sind das A und O. Sie entstehen in einem ständigen Austausch mit anderen, und je mehr „Kontaktflächen“ ein Kind hat, desto größer wird sein Erfahrungsnetz. Wir Menschen müssen uns in anderen spiegeln können: Kinder erproben sich selbst an ihren Mitmenschen und lesen deren Reaktionen ab. Ein Spiegel, der immer wieder verständnislos dreinblickt, wirkt auf ein Kind kalt und gleichgültig. Will man ein lebendiger Spiegel sein, sind also ein paar Stunden Gebärdenkurs nicht genug, sondern Gebärden lernen und Gebärden anwenden ist eine ständige Aufgabe.
Wie kann ich das lernen? Und vor allem, wie werde ich mit den Gebärden vertraut?
Mein Tipp ist: Üben Sie viel, gebärden Sie regelmäßig. Wählen Sie Bereiche, wo Sie unbeschwert gebärden können, und vergessen Sie Ihre hohen Ansprüche. Es muss nicht alles richtig sein, Sie machen ja auch beim Sprechen mal Fehler. Gebärden Sie frisch von der Leber weg und suchen Sie sich Situationen, die Ihnen viel Gelegenheit dazu bieten. Meiner Meinung nach ist es am besten, sich einfach ins Gespräch zu stürzen, in Situationen, wo man Gebärden benutzen muss. Denken Sie daran, dass Sie immer einen Schritt weiter sein sollten als Ihr Kind. Ihr Kind lernt von Ihnen, und was Sie nicht können, kann also auch Ihr Kind nicht lernen.
Also… will der jetzt an meinem Leben beteiligt sein oder nicht?!
Na klar! Ich bin doch auch ein Sprach-Bauarbeiter!
Die promovierte Pädagogin Gunilla Ladberg befasst sich unter anderem mit Spracherwerb und Mehrsprachigkeit von Kindern und Erwachsenen. Auszüge aus dem Buch Barn med flera språk – Tvåspråkighet och flerspråkighet i familj, förskola, skola och samhälle von Gunilla Ladberg, Liber Förlag
Sprecherwechsel
Eine entscheidende Voraussetzung für jede Art von Kommunikation ist das, was die Sprachwissenschaftler Sprecherwechsel nennen: die Fähigkeit, zwischen Reden und Zuhören wechseln zu können. Inzwischen wissen wir, dass schon Säuglinge diese Fähigkeit besitzen, vielleicht von Geburt an. Häufig ergreifen Babys selbst die Initiative zur Kommunikation: Bei aufmerksamer Beobachtung kann man sehen, dass sie erst eine Bewegung machen oder einen Laut von sich geben, um Aufmerksamkeit zu erzeugen, und dann innehalten und dem anderen Zeit für die Antwort lassen, wobei sie ihr Gegenüber intensiv anblicken.
Sprache entsteht aus dem Bedürfnis sich mitzuteilen
Wir Menschen haben das Bedürfnis, uns mitzuteilen. Wir wollen unsere Gefühle zeigen, von Erlebtem berichten und unsere Erfahrungen mit anderen teilen. Das sieht man schon bei den Kleinsten. Kinder wollen erzählen, was sie erlebt oder vollbracht haben, was ihnen Angst oder Freude gemacht hat. Wenn jemand versteht, was sie sagen wollen, und antwortet, wird ihr Vertrauen in die Möglichkeiten der Kommunikation gestärkt. Die Antwort braucht nicht in Worten formuliert zu sein. Wir haben ein ganzes Repertoire von Kanälen, um Interesse zu zeigen, zu reagieren und zu bestätigen.
Wenn Kinder aufgeben
Es kommt auch vor, dass Kinder aufgeben und nicht mehr versuchen, sich verständlich zu machen. Sie ziehen sich zurück oder meiden Spiele und Aktivitäten, bei denen man reden muss. Das ist vielleicht die größte Gefahr. Alle Kinder brauchen die Erfahrung, dass Kommunikation funktioniert. Nur so bekommt ein Kind Zutrauen zur Sprache. Kinder, die nicht mehr versuchen sich zu verständigen, können lange in einer Gruppe sein, ohne nennenswerte sprachliche Fortschritte zu machen. Es reicht nicht, die Sprache im Raum zu haben – man muss auch aktiv kommunizieren.
Dazugehören
Unser Bedürfnis, dazuzugehören und zu sein „wie die anderen“, nicht negativ aufzufallen, sondern in der Gruppe aufzugehen, ist eine treibende Kraft aller Kommunikation. Um zu verstehen, wie wir der Sprache unserer Kinder auf die Sprünge helfen können, sollten wir uns einige wichtige Fragen stellen:
- Worüber möchte oder muss mein Kind reden?
- Mit wem möchte oder muss mein Kind reden?
- Wem möchte mein Kind ähnlich sein? Wen bewundert mein Kind?
- Zu welcher Gemeinschaft möchte mein Kind gehören?
In den Antworten auf diese Fragen liegt der Antrieb für die kindliche Sprachentwicklung.
Sprache und Denken
Sprache ist nicht nur ein Kommunikationsmittel, sondern auch ein Werkzeug des Denkens. Wir verwenden Sprache, wenn wir nachdenken, lernen, schlussfolgern und versuchen, Zusammenhänge zu verstehen. Mit Hilfe von Sprache können wir Dinge identifizieren, kategorisieren und uns später daran erinnern. Wer Worte hat für das, was er sieht, nimmt mehr wahr und behält es besser im Gedächtnis.
Denken und Probleme lösen, für die Zukunft planen und Vergangenes bewerten – für all das machen wir uns die Sprache zunutze.
Alle Kinder brauchen Zugang zu einer Sprache, um ihr Denken zu entwickeln