Langjährige Erfahrung hat gezeigt, dass Gebärden vielen Kindern, die besondere Unterstützung bei der Sprachentwicklung brauchen, gute Dienste leisten. Hierbei kann es sich z. B. um Kinder mit Down-Syndrom, Autismus oder spastischer Lähmung handeln, oder auch um Kinder, deren Sprachentwicklung aus verschiedenen Gründen verzögert ist. Nach neuesten Erkenntnissen profitieren auch Kinder mit normaler Sprachentwicklung sprachlich sowie intellektuell von Gebärden, wenn früh damit begonnen wird.

Jon F. Miller (Miller et al. 1991) demonstriert in seinen Studien, dass gebärdende Personen verglichen mit Nichtgebärdenden über einen größeren lautsprachlichen Wortschatz verfügen. Millers Forschung belegt auch, dass visuelle Information leichter zu verarbeiten ist und dass Gebärden der Verständlichkeit dienen.

 

Jon F. Miller, Professor am Fachbereich Kommunikationsstörungen der University of Wisconsin/USA

 

Kommunikation ist ein menschliches Grundbedürfnis und subjektiv für Lebensqualität von entscheidender Bedeutung. Sie ist eine wesentliche Bedingung für soziale Partizipation und Selbstbestimmung und zudem eine wichtige Grundlage jeder Entwicklung. Es besteht deshalb die Notwendigkeit, beeinträchtigten Kindern sowohl frühe entwicklungsbegleitende Hilfen zum Verstehen und zum Verständigen anzubieten als auch Jugendlichen und Erwachsenen, die sich nicht hinreichend lautsprachlich verständigen können, Möglichkeiten ergänzender und ersetzender Kommunikationsformen zu vermitteln. Besonders günstige Erfahrungen bei der Anwendung von Gebärden liegen zur sprachlichen Förderung bei Kindern mit Down-Syndrom vor, aber auch bei anderen Kindern mit kognitiven Beeinträchtigungen, die eine stark verlangsamte Sprachentwicklung zeigen, aber keine wesentlichen motorischen probleme haben. Bei Zweisprachigkeit können Gebärden eine Brücke für das Verstehen und die Verständigung sein.

 

Etta Wilken, emeritierte Professorin für Allgemeine und Integrative Behindertenpädagogik an der Leibniz-Universität Hannover, in ihrem Buch Unterstützte Kommunikation. Eine Einführung in Theorie und Praxis (3. Auflage 2010)

 

”Für Kinder ist es ein Vorteil, wenn sie schon vom Babyalter an eine Sprache lernen. Den Eltern sollte man Mut machen, Gebärden einzusetzen, und Ihnen Informationen zu verschiedenen Aspekten der Sprachentwicklung geben, damit sie ihrem Kind helfen können. Vermutlich sind die Eltern die mit Abstand besten Lehrer ihrer Kinder. Wir sollten sie ermuntern, den Wortschatz des Kindes kontinuierlich zu erweitern und dann auch mit der Struktur der Sprache zu arbeiten. Wenn nötig, sollten sie das Sprachtraining bis in die Pubertät fortsetzen. Unsere Erfahrung hat jedoch gezeigt, dass Kinder, die früh Sprachtraining – einschließlich Gebärden- und Lesetraining – erhalten, unter Umständen nicht so lange Unterstützung brauchen.“

 

Sue Buckley, emeritierte Professorin mit Arbeitsschwerpunkt Lernbehinderungen, Fachbereich Psychologie, University of Portsmouth/Großbritannien. Gründerin von Down Syndrome Education International (DSE).

 

Die wichtigsten Vorteile von Gebärden:

Gebärden kommen mit weniger Feinmotorik aus als die Lautsprache

–  Gebärden nutzen andere Sinneskanäle

–  Gebärden fördern die Konzentration

–  Gebärden sind in vielen Fällen konkreter

–  Gebärden verdeutlichen die gesprochene Sprache

–  Gebärden hat man immer dabei

–  Gebärden bremsen den Redefluss von Erwachsenen

–  Gebärden bilden eine Brücke zwischen der Lautsprache der Umgebung und der eigenen angeborenen Ausdrucksweise, der Körpersprache

Entnommen aus: Boel Heister Trygg: TAKK – tecken som alternativ och kompletterande kommunikation (2004)

Linda Acredolo und Susan Goodwyn zeigen in ihrer von National Institutes of Health (USA) finanzierten Studie aus dem Jahr 2000, dass Gebärden bei ALLEN Kindern eine sprachfördernde Wirkung haben. 140 Kinder im Alter von 11 Monaten mit normaler Sprachentwicklung wurden nach dem Zufallsprinzip in eine gebärdende und eine nicht-gebärdende Gruppe eingeteilt. Sämtliche Kinder wurden bis zum Alter von drei Jahren alle vier Monate mithilfe von standardisierten Sprachtests beurteilt. Demnach waren die gebärdenden Kinder den anderen Kindern im Alter von zwei Jahren etwa vier Monate voraus. Im Alter von drei Jahren sprachen die gebärdenden Kinder im Durchschnitt etwa wie Vierjährige, hatten also einen Vorsprung von fast einem Jahr. Ferner zeigte sich, dass diesen Kindern das Lernen auch später leichter fiel.

Abgesehen von den dokumentierten Impulsen für die lautsprachliche und geistige Entwicklung hat man im Rahmen der Studie noch weitere wichtige Stärken von Gebärden erkannt. Gebärdenkommunikation bei hörenden Kindern…

 

–  reduziert Frustration und Aggression

–  macht Eltern und Lehrer aufmerksamer

–  schafft Vertrauen zwischen Kindern und Erwachsenen

–  gibt Kindern die Möglichkeit, sich verständlich zu machen und ihre Fähigkeiten zu zeigen

–  trägt zu einer positiven emotionalen Entwicklung der Kinder bei, stärkt Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl

 

Linda Acredolo, emeritierte Professorin für Psychologie, University of California/USA, und Susan Goodwyn, Professorin für Psychologie, California State University/USA, sind die Autorinnen des Buches Babysigns: How to talk to your baby before your baby can talk.

 

In seinem Vortrag bei der International Conference on Developmental Issues in Down Syndrome (2005) erwähnt John Clibbens, daß Gebärdenkommunikation nach den gleichen Regeln abläuft wie gesprochene Sprache. Die Gebärdenkommunikation entspricht der Struktur der Lautsprache, was den Sprecherwechsel betrifft, und kann im Verlauf der kindlichen Sprachentwicklung grammatisch aufgebaut werden. Der Einsatz von Gebärden fördert die Sprachentwicklung, erweitert den Wortschatz, reduziert Frustration und sorgt für bessere Verständlichkeit. Fortgesetzte Gebärdenkommunikation bei älteren Kindern wirkt sich positiv auf deren Grammatikgebrauch aus.

John Clibbens,emeritierter Professor für Entwicklungspsychologie, Fachbereich Psychologie, University of Birmingham/Großbritannien

 

„Ein Kind braucht frühen und regen Austausch mit wichtigen Bindungspersonen. Ohne Dialog mit anderen Menschen baut es in seinem Inneren keine Erlebnis- und Gedankenwelt auf, und ohne diese Welt fehlt ihm der Ausgangspunkt für seine Kommunikation.“

Margareta Berg-Brodén und Bim Riddersporre, Intervention vid tidiga kontaktstörningar. Interaktionell diagnostik och samspelsbehandling. In: Socialmedicinsk Tidskrift 9-10 (1993), S. 428-435